Helmut Augustiniak
Das Jahr 1813 im Havelland
Napoleons Feldzug gegen Russland hatte mit einer völligen Niederlage und Vernichtung der Großen Armee geendet. In den sechs Monaten des Feldzuges verlor der französische Kaiser mehr als 500000 Soldaten. Mit 594000 begann er den Feldzug, 81000 Soldaten waren es noch im Dezember 1812. Der Krieg gegen Napoleon sollte aber noch zwei Jahre dauern, ehe Frankreichs Herrschaft über Europa beendet war.

Rückkehr von Trümmern der Großen Armee


Preußen war durch die Kontributionen und die Okkupation im Jahre 1812 völlig ruiniert. Nur außerordentliche Anstrengungen und Opfer ermöglichten es, eine starke Armee aufzustellen und auszurüsten, um sich vom napoleonischen Joch befreien zu können. Die im Land vorhandenen Waffen und Munition reichten für eine verstärkte Armee nicht aus.
Aber der Wille des Volkes, dass 1806 völlig zusammen gebrochene Preußen wieder erstehen zu lassen, ergriff den größten Teil der Menschen im Lande. Wie falsch seine Aussage war: „Freiwillige aufrufen, ganz gute Idee, aber keiner kommen!“ sah Friedrich Wilhelm III. in Breslau. Scharnhorst führte den König an ein Fenster des Schlosses und zeigte ihm die endlose Zahl der Freiwilligen, die vor dem Schloss dem König zujubelten.
Am 17.März 1813 erließ der König die Verordnung zur Errichtung der Landwehr. Hier waren alle Männer im Alter von 17 bis 40 Jahren organisiert. Die Bekleidung musste jeder Landwehrmann selbst stellen. Sie sollte möglichst einheitlich sein. Die Bewaffnung kam aus dem Zeughaus in Berlin oder erfolgte durch Schenkungen aus der Bevölkerung. Aus altem Eisen wurden Degen geschmiedet und mit einem Holzgriff versehen, die sogenannten Notsäbel.

 

 

 

 

 

 

Der Philisoph Johann G. Fichte,Rektor der Berliner Universität,als Landsturmmann

Auch Frauen kämpften in verschiedenen Truppenteilen Preußens. Allerdings mussten sie sich als Männer ausgeben. Die bekannteste Soldatin war Eleonore Prohaska. Sie wurde zum Mythos, weil sie im Kampf fiel. Neben ihr kämpften u. a. die Tochter eines Zimmermeisters Anna Lühring unter dem Pseudonym Eduard Krüger bei den Lützower Jägern, Friederike Krüger als August Lübeck im Infantrie-Regiment Kolberg und Maria Weber an der Seite ihres Mannes im 2. Schlesischen Husarenregiment. Insgesamt sollen es ein Dutzend Frauen gewesen sein, die aktiv gegen die Franzosen kämpften.
Eleonore Prohaska's Tod
Neben der Landwehr wurde der Landsturm aufgestellt. Er sollte die Regionen schützen, wenn durch Kampfhandlungen Landstriche von Landwehr und regulären Truppen entblößt waren. Auch die Angehörigen dieser Einheiten mussten sich ihre Bekleidung und Bewaffnung selbst beschaffen.
Diese unausgebildeten Truppen mit ungenügender Bewaffnung wurden vom Offizierskorps nicht gern gesehen. Sie hätten sie gern wieder abgeschafft. 
Im Havelland zwischen Berlin, Brandenburg und Havelberg kämpfte die Nordarmee, die aus Preußen, Schweden und Russen bestand, unter dem schwedischen Kronprinzen Bernadotte. Dieser ehemalige Marschall Napoleons kämpfte häufig unentschlossen gegen den Feind. Sein zögerliches Verhalten brachte den Franzosen oft Vorteile.
Im Raum Oranienburg-Spandau-Potsdam-Nauen stand ein Kontingent der Nordarmee in Stärke von 45 000 Mann. Das Kommando hatte der schwedischen Feldmarschall Curt von Stedingk. Ein Unter-Feldherr, der von den Militärhistorikern ignoriert wird. Von den europäischen Monarchen wurde er aber sehr geschätzt. Er wurde mit den höchsten Orden mehrerer Länder ausgezeichnet und mit hohen diplomatischen Missionen betraut. Vom preußischen König erhielt er den Roten und den Schwarzen Adlerorden. 
Ungeheuer groß waren die Leiden der Bevölkerung sowohl unter der französchen Besatzung von 1806 bis 1812 als auch in den Befreiungskriegen von 1813 bis1815.
Zeugnis davon legen die Akten des Ketziner Magistrats und die Eintragungen in den Kirchenbüchern ab.
Reste der französischen Armee passierten auf ihrem Rückzug auch Ketzin/Havel. Sie mussten von der selbst hungerleidenden Bürgerschaft verpflegt werden. Französische Soldaten, die aufgrund der Strapazen des Rückzuges starben, mussten beerdigt werden. Eingeschleppt wurde durch die kranken Franzosen im Februar 1813 Flecktyphus. Hieran starben bis zum Sommer des Jahres auch 28 Ketziner. Die Todesfälle häufen sich in so großem Maße, dass das Läuten der Kirchenglocken für diese Fälle verboten wurde. Neben dieser Todesursache ist im Kirchenbuch nachzulesen, dass selbst ganze Familien vor Hunger starben.
Nach den Verordnungen des Königs über die Bildung der Landwehr und des Landsturms, rückte im Mai 1813 ein ganzes Bataillon preußische Landwehr in Ketzin/Havel ein. Auf die hier grassierende Seuche und der nicht mehr vorhandenen Lebensmittel wurde keine Rücksicht genommen.
Landwehr auf dem Marsch
Auf ihrem Marsch nach Berlin im August 1813 passierten schwedische Truppen die Stadt. Zu den im Quartier liegenden Truppen, kamen noch unzählige Krankentransporte, die über Ketzin/Havel nach Brandenburg geleitet wurden. Auch diese mussten verpflegt werden. Im September 1813 bezogen russische Truppen, die zur Nachhut Bernadottes gehörten, in Ketzin/Havel Quartier. Neben einander lagen nun in der Stadt preußische Landwehr und Jäger,russische Kosaken und schwedische Grenadiere. Am längsten blieben die russischen Kosaken. Sie hatten sich in Ketzin/Havel häuslich eingerichtet und besorgten sich von den Bürgern alles, was sie für ihr Leben brauchten. 
Die Bürger wollten die Kosaken natürlich schnell loswerden. Aber der Landrat v. Bredow schreibt: „Die Truppen müssen gehörig verpflegt und auf das freundschaftlichste behandelt werden, wogegen sie die beste Manneszucht beobachten werden…“. Wer das Buch von Dieter Wende, „Im wilden Felde – Aus der Geschichte der Kosaken“ ,erschienen im Verlag der Nationen 1988, kennt, weiß, was davon zu halten war. Er bezeichnete die Kosaken als Piraten und Räuberbande. Sie tranken eimerweise Wodka, raubten das, was sie bekommen konnten und prügelten sich. Die Russen zogen im Oktober ab. Vor ihrem Abmarsch aus Ketzin/Havel deckten die Kosaken ihren Bedarf bei den Ketzinern noch gehörig ein.
Kosaken plündern einen Bauernhof
Mit der Völkerschlacht bei Leipzig war Napoleon besiegt. Die Auswirkungen des Krieges bewirkten in Ketzin/Havel, dass viele Ackerflächen unbestellt waren. Die zum Soldatendienst eingezogenen Männer fehlten, um die kleinen Wirtschaften in der Stadt aufrecht zu erhalten. Die als Invaliden aus der Armee heimkehrenden Bürger mussten vom Land und der Stadt versorgt werden. Zehn Ketziner Bürger ließen in den Kämpfen gegen Napoleon ihr Leben.

Bildquellen: "1813-1815 Illustrierte Geschichte der Befreiungskriege" von J.V.Pflugk-Hartung, 1913

        
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